Pädagogisches Mittagessen Ernährung ist ein wesentlicher Faktor der Entwicklung des Menschen, der sowohl auf die physiologische, als auch auf die psychologische Gesundheit Einfluss hat. Die Nahrungsaufnahme gehört zu den Grundbedürfnissen der Menschen und deren Befriedigung gehört zu den Bestandteilen des Alltags. Das Thema Gesundheit und hierbei der Aspekt „gesunde Ernährung“ spielen in der Gesellschaft eine immer größere Rolle. Hier wird davon gesprochen, dass auch und gerade Kinder und Jugendliche sich nicht ausreichend gesund ernähren, sie beispielsweise zu wenig Obst und zu viele Süßigkeiten zu sich nehmen und die Anzahl der übergewichtigen Jungen und Mädchen bundesweit ansteigt. Über die Nahrung nimmt der Mensch wichtige Nährstoffe zu sich, die für den menschlichen Antrieb und die Entwicklung von Bedeutung sind. Da Kinder und Jugendliche sich noch im Wachstum befinden, ist es für sie besonders wichtig hier für eine ausreichende und ausgewogene Grundlage zu sorgen. Eine gesunde Ernährung hat nicht nur Einfluss auf eine gesunde Entwicklung, sondern sie trägt auch „zum allgemeinen Wohlbefinden bei, zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit, sowie besserer Lebensqualität“. 2 Leider scheint es jedoch so zu sein, dass diese Basis nicht für alle Kinder und Jugendlichen geschaffen oder von ihnen genutzt wird. Die Ergebnisse der EsKiMo-Studie (Ernährungsstudie als KiGGs Modul) belegen, dass die Kinder und Jugendlichen zwar genügend Flüssigkeit zu sich nehmen, diese aber aus einem zu hohen Anteil an zuckerhaltigen Limonaden besteht, sie zu wenig pflanzliche Lebensmittel und zu viel fettreiche Fleischsorten essen. Sie nehmen außerdem nicht die ausreichende Menge an Milchprodukten zu sich, dagegen bevorzugen sie eher Fast-Food-Essen und Süßigkeiten. Der tägliche Fettgehalt der meisten Kinder und Jugendlichen ist noch viel zu hoch und darüber hinaus werden wesentlich mehr tierische als pflanzliche Fette zugeführt. Die Kinder und Jugendlichen essen zudem hauptsächlich Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an isolierten Zuckern anstelle von Vollkornnahrungsmitteln, die einen höheren Eiweiß, Vitamin- und Mineralstoffgehalt haben und zusätzlich noch einen reichen Ballaststoffgehalt aufweisen. 3 Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) gibt seit 1956 Ernährungsempfehlungen heraus, die auf wissenschaftlichen Arbeiten und Forschungsergebnissen basieren und immer wieder dem aktuellsten Stand der Wissenschaft angepasst werden. 4 Zum Einen gibt es hierbei Verzehrempfehlungen, die sich auf die optimale Bedarfsmenge und Zusammenstellung der Lebensmittel beziehen. Diese wird in Form des Ernährungskreises auch visuell dargestellt (siehe Grafik unten). 5 Bei den Mengenangaben der jeweiligen Nahrungsgruppen werden Empfehlungen für den Tagesbedarf ausgesprochen, wobei es vor allen Dingen auf die Mengenverhältnisse ankommt. So sollten die am Tag verbrauchten Nahrungsmittel zu 30% aus Getreideerzeugnissen/Kartoffeln, zu 26% aus Gemüse/Salat, zu 17% aus Obst, zu 18% aus Milch/Milchprodukten, zu 7% aus Fleisch/Wurst/Fisch/Eiern und zu 2% aus Fetten bestehen. 6 Des Weiteren werden von der DGE nicht nur „ernährungsphysiologische, sondern auch kulinarische, kulturelle und soziale Aspekte der Ernährung“ in Form von Regeln berücksichtigt“. 7 Dazu wurden die 10 Regeln für „vollwertiges Essen und Trinken“ herausgegeben. 8 Diese sind als Unterstützung für den Normalverbraucher gedacht, sind sehr allgemein gehalten und lassen somit Platz für Flexibilität bei der individuellen Ernährung. Das Thema Ernährung umfasst viele Facetten und die Ernährungserziehung kann auf unterschiedlichen Ebenen wirken: auf das Ernährungsverhalten, auf das Ernährungswissen und auf die Esskultur. Die Entwicklung des Ernährungsverhaltens wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Zu diesen zählen die biologischen Faktoren wie Hunger und Durst, Geschmack und Genuss, die kognitive Faktoren zur Regulierung der Nahrungszufuhr und die sozial-psychologischen Faktoren, die durch die Esskultur bedingt sind. 9 Keine dieser Faktoren sind starr, sie werden zwar, ebenso wie jede andere Form des Verhaltens, in der frühen Kindheit geprägt, können sich aber auch im Laufe des Lebens weiterentwickeln, sofern hier neue Reize auf sie einwirken. Zudem ahmen Kinder und Jugendliche das Ernährungsverhalten insbesondere von Eltern und anderen Bezugspersonen nach oder sie orientieren sich daran. Sie lernen am Modell. 10 Das Ernährungsverhalten der Kinder und Jugendlichen ist somit aktiv gestaltbar und unser Einwirken auf selbiges ist von Bedeutung bei der Entwicklung eines gesunden Ernährungsverhaltens. Ein weiterer, durch erzieherische Maßnahmen lenkbarer Faktor bezüglich der Ernährung ist die Esskultur, die neben dem „Was“ auch das „Wie“ der Ernährung prägt. Bei der Nahrungsaufnahme handelt es sich nicht nur um einen Akt der Bedürfnisbefriedigung auf physiologischer, sondern auch auf soziologischer Ebene. Die Esskultur ist „eng verflochten mit weiteren Bereichen des Umgangs mit sich und anderen und mit Teilen der Kultur des Zusammenlebens“. 11 So gibt es gesellschaftliche Regeln und Normen, Strukturen und Rituale, die mit Essenssituationen verbunden sind. Sich innerhalb dieser Wertvorstellungen bewegen zu können beeinflusst das Zusammenleben in einer Gruppe positiv. Das Essen in der Gemeinschaft dient nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern bietet auch einen Ort für soziale Interaktion. In der Tagesgruppe beginnt das pädagogische Mittagessen bereits mit der Planung des Einkaufs. Die Kinder/Jugendlichen werden darin eingebunden um Themen, wie Geschmack und Wünsche benennen oder Preise miteinander vergleichen zu können, zu bearbeiten. Speziell wird auf ein vielfältiges, reichhaltiges und ausgewogenes Angebot Wert gelegt. Dies beinhaltet auch die Nutzung, das Wissen der richtigen Anwendung, Pflege und Instandhaltung des gruppeneigenen Kräuter-, Obst- und Gemüsegartens. Auch bei der Zubereitung der Mahlzeiten werden die Kinder und Jugendliche aktiv mit in die Verantwortung genommen. Sie lernen dabei die richtige Verarbeitung und Zubereitung der Lebensmittel und eine ansprechende Herrichtung kennen. Während dieses Prozesses werden weitere soziale Lernfelder wie Kommunikation, Arbeiten im Team und für die Gemeinschaft, Rituale und Traditionen vermittelt. Zusätzlich werden die Sensomotorik und die Tiefenwahrnehmung gefördert. Darüber hinaus werden den Kindern und Jugendlichen in diesem Zusammenhang unterschiedliche Esskulturen näher gebracht. Das Mittagessen ist eingebettet in ein Regel- und Strukturwerk, das das Verhalten beim Essen vorgibt. Dies beinhaltet Regeln der Hygiene, des Benehmens, der Kommunikation und des sozialen Miteinanders. Prozesse der Gruppendynamik (Kinder „erziehen“ sich gegenseitig) und das Lernen am Modell nach Bandura 12 werden dabei von uns als Techniken und Grundlagen genutzt. Die Methode des pädagogischen Mittagessens bietet uns die Möglichkeit, Einblicke in Essgewohnheiten und Strukturen aus dem häuslichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen zu bekommen. So bringen Kinder und Jugendliche ihre Lieblingsgerichte (evtl. auch mit kulturellem Hintergrund), Verhalten und Gewohnheiten in das pädagogische Mittagessen der Gruppe ein und die Kinder und Jugendlichen lernen neue Gerichte, Regeln oder Manieren in der Gruppe kennen, die sie dann auf das häusliche Umfeld übertragen. Dies ermöglicht einen Austausch zwischen den Systemen. Die aktive Einbeziehung der Eltern, in beispielsweise der Vermittlung von anderen Esskulturen, findet in der Form statt, dass die Eltern zusammen mit den Kindern in der Gruppe kochen. Dabei bereiten die Eltern Mahlzeiten zu, aus beispielsweise der arabischen oder indischen Küche. Die Kinder und Jugendlichen gewinnen Einblicke und Verständnis in für sie fremde Esskulturen und ihr Interesse wird geweckt. Die Eltern hingegen erfahren Anerkennung und schaffen Barrieren ab, die möglicherweise aus Unwissenheit oder Ängsten resultierten. Dies fördert die Beziehung zwischen Eltern und Kind, aber auch die Beziehung zwischen Eltern und uns Pädagogen/innen. 2 Hauber-Schwenk, 2000, S.15 3 Vgl.: Mensink, Heseker, Richter, Stahl & Vohmann, 2007, S. 81ff 4 Vgl.: Oberriter, 2000 5 Deutsche Gesellschaft für Ernährung (1), 2003 6 Vgl.: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (2), 2004 7 Oberriter, 2000 8 Oberriter, 2000 9 Vgl.: Rohlfing & Brandt 2002, S. 22 10 vvgl.: Wege, 2002, S. 14 11 Methfessel, 2006 12 Uni Duisburg (1), 2012